· 

Wanderung mit kleinen Fehlern

Eigentlich war ja an diesem verlängerten Wochenende eine Motorradtour mit einem Freund geplant. Doch diese fiel aus mehreren Gründen ins Wasser. Nicht wettertechnisch. Werkstätten- und krankheitstechnisch. Shit happens.

 

Da ich allerdings eher nicht dazu neige, in solchen Fällen apathisch zu Hause sitzen zu bleiben und - in Ermangelung eines Fernsehgeräts - die Wohnzimmerwand anzustarren, nutzte ich die Gelegenheit und den Fenstertag, um dem letzten Marsch zehn Kilometer draufzusetzen und im Wandertraining zu bleiben. Immerhin stand ja im Oktober wieder einmal ein Hunderter ins Haus. Und so ganz ohne zielgerichtetes Training macht ein solcher nur sehr bedingt Spaß.

 

 

Also plante ich ein Ründchen von etwas mehr als 40 Kilometern Streckenlänge und etwa 660 Höhenmetern und los ging's.

Ohne den Wecker gestellt zu haben, wachte ich sehr zeitig auf, frühstückte gemütlich, schnappte den Rucksack, fuhr nach Raabs an der Thaya und startete um etwa dreiviertel sieben Uhr durch das sich zaghaft die Augen reibende Städtchen Richtung Süden.

Erst dem romantischen "Holzhackerweg", dann dem "Thaya-Kamp-Weitwanderweg" folgend, stapfte ich über touristenfreundlich gemähte Wanderwegschneisen. Zumindest teilweise. In Spaziernähe der Stadt hatte man penibel für die Halbschuhtauglichkeit des Untergrundes gesorgt. Doch je weiter ich mich von Raabs entfernte, desto höher wuchs das saftige Grün. So dauerte es nicht lange, bis meine Hose, in weiterer Folge meine Socken und deshalb auch meine Füße vom Morgentau klitschnass waren. Gamaschen hatte ich keine mitgenommen. Blöder Anfängerfehler. Immerhin können Schuhe noch so dicht sein, wenn das Wasser von oben kommt, nützt das gar nichts. Das weiß ich seit Jahrzehnten. Wer am Morgen oder am Abend wandert - erst recht an einem Fluss entlang - der sollte dafür sorgen, dass die Unterschenkel und der Rand der Schuhe wasserdicht verpackt sind. Unzählige Blasen hatte mir das Ignorieren dieser einfachen Regel bereits eingebracht. An diesem Tag würde es nicht anders sein. Das wurde mir sehr bald klar. Aber was soll's - ich würde es überleben. War ja nicht das erste Mal. Depp, ich.

 

Immerhin war die Landschaft so atemberaubend schön, das fröhliche Vogelgezwitscher so ansteckend, der Tag so jung und meine Laune so gut, dass die Aussicht auf ein paar Schmerzen dies alles nicht trüben konnte. Wieder einmal wurde mir bewusst, wie dankbar ich sein musste, in einer solchen Gegend zu Hause zu sein.

Blinded by the light, wie bereits Manfred Mann in den Siebzigern geträllert hat.
Blinded by the light, wie bereits Manfred Mann in den Siebzigern geträllert hat.

Der erste Teil der Wanderung war auch koordinativ nicht ganz einfach: Oftmals ging es steil einen Abhang hinauf (und anschließend auch wieder hinunter), es gab morastige Abschnitte, dicht verwachsene, felsige - und alle Kombinationen der genannten Bedingungen. Dementsprechend kam ich nicht ganz so schnell voran, wie ich mir das vorgestellt hatte. Aber wenn alles so läuft, wie man sich das im Vorfeld ausmalt, wäre es ja auch langweilig.

Wandern ist nicht Hallentennis. Und nicht einmal da läuft normalerweise alles so, wie man sich das vorab vorstellt.

Doch meine Laune war nach wie vor bestens.

 

 

So dermaßen bestens, dass ich mich nach Ewigkeiten sogar zum Knipsen eines Selfies durchrang. Allerdings weiß ich jetzt endgültig, dass ich zu alt für sowas bin. Egal, aus Gründen des Entertainments der geneigten Leserschaft sei es hier veröffentlicht.

Nach wie vor zeigte sich das Waldviertel von seiner sympathischsten Seite - menschenleer, frühlingswarm und in einem kaleidoskopischen Bild aus saftigen Grüntönen. Wie bereits bemerkt: Das Leben war schön.

Doch irgendwann kam ich wieder in zivilisiertere Gegenden. Oder zumindest in bebautere. Der Waldanteil wurde weniger, der Feldanteil mehr und über die Freiflächen strich ein steter, aber sehr angenehmer Wind. Aufgrund der deutlich einfacheren Wegbedingungen konnte ich nun meine Marschgeschwindigkeit erhöhen und so schrumpfte die verbleibende Strecke mehr und mehr. Da das Leben noch immer schön war, wagte ich auch am südlichsten Punkt der Wanderung - also nach etwa 20 Kilometern - ein weiteres Selfie. Fazit: Ich beherrschte diese Art der Selbstablichtung noch immer nicht. Egal.

Von nun an ging es wieder gen Norden. Pause hatte ich keine gemacht, gegessen und getrunken lediglich im Gehen. Es waren ja nur etwas mehr als 40 Kilometer Gesamtstrecke zu bewältigen. Wozu also pausieren? Zwar hatte sich schon bei vergangenen Märschen herausgestellt, dass eine kurze Pause etwa alle 20 Kilometer zur Aufrechterhaltung meiner Leistungsfähigkeit nicht ungünstig ist, aber ich fühlte mich stark genug, an diesem wunderschönen Tag darauf zu verzichten.

 

Doch etwas anderes begann, den Genuss der Wanderung ein wenig zu trüben: die ersten Blasen, die sich wegen der aufgeweichten Haut meiner Füße langsam zu bilden begonnen hatten. Yippie ya yay, Schweinebacke! Ab hier war Schluss mit lustig.

Besonders unangenehm waren in weiterer Folge Wegstücke, die bergab führten, und Passagen mit grobem Schotter, die klassischen "Gravel Roads", die in jedem zweiten Country-Song vorkommen. Leider nicht nur dort, sondern auch im Waldviertel.

Und obwohl Teile meiner Verwandtschaft in jener Ecke zu Hause sind, genoss ich den Marsch durch dieses Gebiet schon etwas weniger - familiäre Verbundenheit hin oder her. Egal, bald hätte ich ja wieder weicheren Waldboden unter den blasenbedeckten Fußsohlen. Darauf freute ich mich. Man ist ja genügsam.

 

Nachdem ich die noch zaghaft grünen Felder zwischen Japons und Schweinburg durchhumpelt hatte, näherte ich mich dem Endspurt. Es ging auf den letzten fünf Kilometern wieder in den Wald. Zuerst sollte ein Weg sanft bergab durch den Dorfwiesgraben zur Ortschaft Kollmitzgraben führen. Das tat er auch. Prinzipiell. Wäre da nicht der leidige Umstand gewesen, dass der genannte Weg im oberen Bereich die letzten Monate offenbar ausschließlich von im Wald heimischen vierbeinigen Passanten benutzt worden wäre. Demensprechend verwachsen war er auch.

Ja, das ist ein Weg. Wirklich.
Ja, das ist ein Weg. Wirklich.

Der Grund dafür lag auch auf der Hand: An mehreren Stellen waren mächtige Fichten über den Weg gestürzt. Diese bildeten eine wunderbare Abschluss-Challenge. Mit Blasen an den Fußsohlen und etwas mehr als 36 Kilometern auf dem imaginären Tageskilometerzähler machte es nicht allzu viel Spaß, im Limbo-Stil und mit Rucksack unter den Stämmen durchzutanzen oder sie kletternd zu überwinden. Doch was sein musste, musste sein.

Um den nächsten weisen Spruch zu bringen: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. So auch dieser Weg.

Bald schon stand ich unterhalb der beeindruckenden Burgruine Kollmitz. Schnell einen Apfel aus dem Rucksack gekramt und dann möglichst lässig, ohne zu humpeln, durch den Ort spaziert. Was mir auffiel: Es gab dort quasi keine einheimischen Nummerntafeln an den Autos. Wien, Mödling, Wien Umgebung, alles Mögliche. Waidhofen an der Thaya? Fehlanzeige. Kein Wunder, laut Wikipedia hat die Ortschaft gerade einmal 23 Einwohner. Da liegt es auf der Hand, dass die meisten Gebäude Wochenendhäuser sind.

Auf dem Höhenrücken der Burg angelangt, marschierte ich auf dem "Ritterweg" weiter. Er würde mich schnurstracks nach Raabs zurückführen. Erstmalig an diesem Tag traf ich andere Wanderer: ausschließlich Familien und ältere Paare. Alle sehr freundlich - und alle deutlich langsamer unterwegs als ich, obwohl ich gefühlt schon aufgrund meiner Blasen sehr schaumgebremst unterwegs war. Geschwindigkeit liegt also offensichtlich im Auge des Betrachters.

Auf den letzten Kilometern entfaltete das Thayatal wieder seine bereits in der Früh genossene Pracht. Sattes Grün, der träge murmelnde Fluss, die Geräusche des Waldes, all das begleitete mich bis in das Städtchen zurück, aus dem ich aufgebrochen war.

Am Auto angekommen, streckte ich erst einmal die Beine aus, schnaufte durch, sagte meinem Sohnemann per WhatsApp zu, ihn später zu Freunden nach Waidhofen zu fahren, holte mir aus einem nahen Supermarkt mein Spezialdoping und stürzte es - noch hinter dem Lenkrad sitzend - gierig hinunter. 

Später gab es als Schlummertrunk noch die Spezialdopingalternative. Beides übrigens ohne schlechtes Gewissen. Wenn man stundenlang gewandert ist, dürfen Kakao und Weizenbier sein. Nur eine Mischung empfehle ich nicht. Sowas will ich mir geschmacklich lieber nicht vorstellen.

 

Übrigens, die schmerzenden Füße wurden durch die Eindrücke des Tages vollkommen wettgemacht. Oder zumindest beinahe. Ganz im Ernst: Es war wirklich eine wunderschöne Wanderung, die besonders auf den ersten und letzten Kilometern alles bot, was die Faszination des Waldviertels ausmacht.

 

Der zweite Trainingsmarsch für die 100 Kilometer am 8. Oktober ist also absolviert. Der nächste sollte dann schon die halbe Distanz der Veranstaltung betragen. Mit trockenen Füßen ein Spaziergang. "Kinder lernen aus den Folgen" heißt ein berühmter Erziehungsratgeber des Psychologen Rudolf Dreikurs. Der Vajk tut das auch. Hoffentlich.

 

 

(Und weil ich an diesem Tag so motiviert war, meine Selfie-Skills zu erproben, musste nach der finalen Dusche zu Hause noch eines sein. Ja, stimmt, ich werde es in diesem Leben nicht mehr besser hinbringen, ich lagere die Aufgabe des Vajk-Knipsens ab sofort wieder aus, versprochen.)