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Erlebnis. Sport. Sporterlebnis.

"My memories are inside me - they're not things or a place - I can take them anywhere."

Diesen Satz der großen zeitgenössischen Philosophin Dame Olivia Newton-John kann ich nur unterstreichen. (Nein, das war gar nicht soooo despektierlich gemeint, die Frau hat wirklich im Laufe ihres Lebens mehr gemacht als seichte Hollywood-Musicals). Ich für meinen Teil denke gern an viele außergewöhnliche Erlebnisse zurück. Die Momente, die aus dem Alltagseinheitsbrei ragen, definieren die Randzonen eines Lebens, dessen voluminöser Kern nur zu oft mit immer denselben Abläufen gefüllt ist.

 

Der britische Abenteurer und Schriftsteller Alastair Humphreys prägte vor einigen Jahren durch sein Buch "Microadventures" den Begriff von eben jenen Mikroabenteuern, die ohne großen Aufwand im Alltag umsetzbar sind. Ebenso empfehlenswert, jedoch noch sportlastiger ist das Buch "Go" des ebenfalls britischen Ausdauersportlers und Journalisten Tobias Mews.

Beide plädieren für eine Aufwertung des Lebens durch mehr oder minder kleine Herausforderungen, denen man sich stellt, kurze Fluchten aus dem üblichen Trott, kleinen Verrücktheiten, die einem die gewohnten Bequemlichkeiten wieder wertvoller erscheinen lassen.

 

Auch den Autor vorliegender Zeilen überkommt in regelmäßigen Abständen das Bedürfnis, aus dem Alltag auszubrechen und die eine oder andere kleine Flucht in ein solches Mikroabenteuer anzutreten. Eine gute Gelegenheit dafür ergab sich, als von mehreren Seiten aus dem Bekanntenkreis die Idee laut wurde, am Waldviertler 4-Berge-Marsch teilzunehmen, einer Veranstaltung, die schon seit vielen Jahren nahe Weitra durchgeführt wird. Da dieser heuer aber "erst" um fünf Uhr in der Früh starten sollte und man bei einer Gehzeit von etwa sieben Stunden für dreißig Kilometer in einen sommerlich heißen Julitag marschieren müsste, erschien es deutlich angenehmer - und natürlich auch etwas abenteuerlicher -, schon um Mitternacht aufzubrechen und den Großteil der Strecke in Form einer Nachtwanderung zurückzulegen.

Rucksackpacken für das erste Mikroabenteuer des Sommers
Rucksackpacken für das erste Mikroabenteuer des Sommers

Gesagt, getan: Am späten Samstagabend erfolgte die Anreise und zu viert brachen wir ziemlich genau um null Uhr gut gelaunt und gegen blutsaugende Insekten und Spinnentiere (vulgo Mücken und Zecken) zitronig duftend in eine sternenklare, mondhelle Nacht auf.

Aufgrund der Lichtverhältnisse waren die Stirnlampen nur in den Waldabschnitten notwendig, die Temperaturen waren angenehm, die Stimmung gut, Ausrüstung und Verpflegung passten und somit konnten wir auch die insgesamt etwa 1700 Höhenmeter Aufstieg genießen, denn immerhin sollten ja vier Gipfel der Umgebung erklommen werden. Gut, das Waldviertel ist nicht gerade für seine Berge bekannt, aber der eine oder andere knackige Anstieg (etwa auf den Mandelstein) war schon dabei.

Um dreiviertel eins hält sich die Fernsicht vom Mandelstein in Grenzen.
Um dreiviertel eins hält sich die Fernsicht vom Mandelstein in Grenzen.

Hinunter in die Ebene und durch den Kurort Moorbad Harbach wandernd, strebten wir recht zielgerichtet dem höchsten Gipfel der Tour, dem Nebelstein, entgegen. Durch das mittlerweile völlige Fehlen jeglichen Straßenverkehrs und die kaum mehr erleuchteten Fenster der Häuser gehörte die Welt uns. Die prinzipiell tolle Möglichkeit, regionale Ab-Hof-Produkte rund um die Uhr in Selbstbedienung zu erwerben, nahmen wir jedoch nicht an, denn immerhin hatten wir an dieser Stelle noch fast zwanzig Kilometer Fußmarsch vor uns. Sauerkraut, Eier oder sonstiges Nahrhaftes als Zusatzgewicht mitzutragen, erschien uns nicht allzu reizvoll. Glimmende Lichtpunkte in der Dunkelheit, die uns hie und da beobachteten, die immer seltener werdenden Geräusche der Insekten und eine Stille, die das Waldviertel schon tagsüber auszeichnet, nächtens jedoch noch deutlicher wahrnehmbar ist, prägten die folgenden Stunden.

Auch der Nebelstein bot uns aufgrund des Umstands, dass wir ihn knapp vor drei Uhr morgens erreichten, keinen allzu spektakulären Ausblick. Das Motto lautete eher "Black is beautiful". Somit hielten wir uns dort auch nur kurz auf, informierten uns aber über den Nebelstein-Erlebnis-Wanderweg, der auf alle Fälle ein lohnendes Ausflugsziel (vor allem für Familien) darstellt. Zusatzinfo: Untertags ist er wahrscheinlich landschaftlich noch deutlich beeindruckender.

Kurz vor halb fünf Uhr erreichten wir den Wachberg mit seinem unübersehbaren Sender. Anhöhen hatten offenbar immer schon ganz handfeste Funktionen, wie der Name verrät. Nachdem die Ausschau nach Feinden allerdings sogar im Waldviertel ein wenig in den Hintergrund getreten ist, hat man kurzerhand die strategisch günstige Lage technisch ausgenützt.

Dass uns beim Abstieg von jener Anhöhe ein wunderbarer Sonnenaufgang geboten wurde, war natürlich herrlich, ist allerdings fotografisch kaum wiederzugeben - zumindest nicht mit meinem Smartphone.

Als die Sonne endgültig über den Horizont gestiegen war, waren wir nicht unfroh, uns bereits dem Ziel unserer Tour zu nähern. Immerhin stiegen die Temperaturen bereits deutlich, ein wunderschöner Sommertag kündigte sich an. Allerdings einer, der lieber in Wassernähe verbracht werden würde, weniger beim Wandern von Gipfel zu Gipfel.

Der historisch durchaus interessante Johannesberg - ich werde wohl für einen "Nordwandern"-Bericht dorthin zurückkehren müssen - bildete das Ziel unserer Tour. Wir erreichten es um etwa dreiviertel sieben Uhr, genossen den Ausblick von dieser Anhöhe ins umliegende Land sowie eine kurze Plauderei mit anderen Außer-Konkurrenz-Wanderern, die auch lieber die Nachtstunden genutzt hatten.

 

Selbstverständlich waren wir nicht mehr so frisch wie beim Aufbruch, immerhin hatten wir stundenlang konstant Bewegung gemacht, einen Schritt vor den anderen gesetzt, bergauf und bergab. In der Dunkelheit war teilweise Konzentration gefragt gewesen, keiner von uns hätte Freude mit einem verstauchten Fuß oder einem unnötigen Umweg gehabt. Wer jedoch eine komplette Nacht schon einmal auf einer Party oder in der Arbeit verbracht hat, weiß, dass trotz deutlich weniger körperlicher Aktivität die morgendliche Müdigkeit bleiern sein kann. Davon war jedoch auf dem Johannesberg wenig zu spüren - die Bewegung hatte das "Durchmachen" erträglicher gemacht.

Für mich ein weiteres Indiz, dass wir für Sport, nicht für Party oder Arbeit geschaffen sind. ;-)

 

Nun aber ganz im Ernst: Was kann diese Nacht (außer einem netten Wanderbericht) für Ergebnisse liefern? Worüber lohnt es sich, im Zusammenhang mit dreißig Kilometern Nachtwanderung nachzudenken?

Für mich persönlich war dieses Mikroabenteuer eine erneute deutliche Bestätigung des Umstands, dass es besonderer Momente bedarf, um das Dasein mit dem zu würzen, was man Lebensfreude nennt. Manchmal muss man ein wenig verrückt sein, manchmal muss man aus dem Trott ausbrechen, manchmal muss man Dinge tun, die andere für (höflich ausgedrückt) sinnlos halten.

Genau das jedoch sind sie nicht. Natürlich hat eine lange Nachtwanderung durch das nördliche Waldviertel in der heutigen modernen Welt keinen sofort erkennbaren praktischen Wert. Doch weder unsere Psyche noch unsere Physis sind auf ein Leben in dieser ziemlich naturfernen Umgebung ausgelegt. Geist und Körper wollen überrascht werden, gefordert, mit ungewohnten Aufgaben betraut. Tun wir das nicht, verschenken wir nicht nur unser Potenzial, sondern degradieren uns selbst zu Alltagszombies, die erst dann merken, dass ihnen echte Lebendigkeit fehlt, wenn diese nicht mehr entfacht werden kann.

Für die meisten dieser kleinen, feinen Herausforderungen ist allerdings eine gewisse körperliche Leistungsgrundlage notwendig. Das heißt, es ist durchaus klug, sich für solche besonderen Erlebnisse fit zu halten. Selbstverständlich gilt in diesem Zusammenhang auch der Umkehrschluss: Erlebnisse wie die oben geschilderte Nachtwanderung tragen nicht wenig zu unserer Fitness bei - besonders dann, wenn sie nicht der seltene Ausnahmefall bleiben, sondern immer wieder gemacht werden.

 

Als ideale Destination für Mikroabenteuer, besonders für spannende Entdeckungsreisen zu Fuß oder mit dem Rad, ist das "Viertel ober dem Manhartsberg" die ideale Gegend. Wälder, Wiesen, Kulturdenkmäler, Teiche und Bäche bieten die Kulisse für Unternehmungen, die uns moderne Mitteleuropäer*innen aus dem Hamsterrad ausbrechen und ein wenig vom Entdeckergeist unserer Vorfahren spüren lassen. Wem das zu abgehoben klingt, dem biete ich eine alternative Formulierung:

Dem Waldviertel aktiv zu begegnen, macht unheimlich viel Spaß.

Erlebnis und Sport gehören hier nämlich ganz natürlich und ungezwungen zusammen.

Also, Rucksack packen und ab ins Abenteuer vor der Haustür! Du wirst es nicht bereuen!